"ich bin süchtig."
als ich mir das zu beginn meines entzuges eingestehen musste, war das ein seltsames gefühl.
denn ich kannte es bis dahin noch nicht.
ich trinke keinen alkohol, ich habe nie geraucht und schon gar keine drogen konsumiert.
das überraschende für mich:
ohne wenn und aber stand ich von anfang an zu meiner benzo-vergangenheit.
mehr noch:
ganz bewusst bin ich in die offensive und kommunizierte die sucht in meinem umfeld.
stur und mit großem willen zog ich dann den entzug durch,
auch wenn es sehr harte proben gab.
ein zurück stand dennoch nie im raum und darauf bin ich verdammt stolz.
denn es gibt überhaupt keinen grund, sich zu schämen oder sich zu verstecken.
wir alle haben momente im leben,
die uns an unsere grenzen bringen und manchmal auch darüber hinaus.
wir sind menschen.
vergiß das nie!
nicole decker-paxton -
germanistin & kommunikationsexpertin
mit schwerpunkt psychologische beratung
von einzelnpersonen, paaren und familien.
seit zehn jahren bin ich auch
freie rednerin für trauungen,
baby-willkommenzeremonien und abschiedfeiern.
klingt nach viel? ist es auch.
dazu kam mein alter marketingjob
in einer kommunikationsagentur.
jetzt kann man meine tägliche to-do-liste
fast schon lesen, oder?
viele jahre war ich
ein workaholic & eine zweifache mama
und das mit einer duracell-endlosbatterie.
irgendwann war dann doch der akku leer.
da mussten die kleinen benzos aushelfen.
der countdown zur sucht lief ...
Was ist das tückische an einer benzoabhängigkeit?
Es ist eine Sucht im Verborgenen.
Im Gegensatz zu vielen anderen Suchtformen sieht man niemanden eine Benzoabhängigkeit an.
Ein paar Pillen einwerfen kann man zudem ziemlich gut vertuschen und so lange nichts „aus dem Ruder“ läuft,
merkt niemand etwas.
Das heißt auch, die Betroffenen verspüren keinen Druck,
etwas an ihrer Abhängigkeit zu ändern.
Was kann auch falsch daran sein,
wenn man auf Rezept Medikamente bekommt,
die zudem noch von der Krankenkasse bezahlt werden?
Sind das nicht die perfekten Streicheleinheiten
für ein süchtiges Gewissen?
Wie fing das alles bei dir an?
Als ich vor sechs Jahren wieder mal
mit Vorhofflimmern in der Notaufnahme lag,
wollte ich unbedingt Tabletten,
die mich abends „runterholen“.
Einfach ein paar runterspülen
und 30 Minuten später entspannt die Welt vergessen.
Klingt gut, oder?
Da stand ich bereits knietief im Burnout.
Danach hat mir ein großer Vertrauens- und Treuebruch
den Boden unter den Füßen weggezogen
und mich in eine tiefe Krise gestürzt.
So wuchs der Benzoberg mehr und mehr
bis er mich kräftig „zum Wanken“ brachte.
Ein Päckchen N2 in der Woche?
Konnte ich locker wegschlucken
und irgendwann hat auch das nicht mehr gereicht.
Wann hat es „klick“ gemacht?
Als ich wieder mal nachts um halb drei
auf dem Boden saß
und wie wild in meinen
vielen Medikamentenschachteln wühlte.
Verzweifelt hoffte ich,
doch noch ein oder besser zwei Benzos zu finden.
Manchmal suchte ich auch mit dem Handylicht
zwischen den Staubmäusen unter dem Bett
nach den kleinen runden Dingern.
Vielleicht ist ja eine (bitte, bitte) darunter gerollt?
Da merkte ich schon, mein Leben gerät außer Kontrolle,
weil es längst
die kleinen Pillenkontrolleure übernommen hatten.
Oft braucht man dann aber doch jemand von außen,
der „Stopp“ schreit.
Es war einer meiner Hausärzte,
der die Rezeptausgabe verweigerte
und dann ein Benzobericht,
der mir brutal die Augen öffnete.
Es folgte ein eigenmächtiger,
einwöchiger kalter Entzug,
der nicht nur sehr gefährlich war.
Ich erlebte auch ein Ausmaß an Entzugserscheinungen,
für die ich keine Worte habe.
Doch „der Groschen“ war gefallen
und es gab kein Zurück mehr.
Was für eine therapie hast du gewählt?
Ganz bewusst entschied ich mich für eine ambulante Therapie, auch wenn gefühlt ein Dutzend Fachleute
der festen Überzeugung waren:
„Das geht nicht.
Einen Benzoentzug kann man nur stationär machen!“
Da wurde ich geradezu trotzig:
„Warum will mir jeder erzählen,
was ich kann oder nicht kann?!“
Ich war fest davon überzeugt,
das mir das gelingt und genau so war es!
Ja, man braucht einen starken Willen,
um „draußen“ zu entgiften,
aber „drinnen“ entziehst Du in einer „Bubble“.
Sie hat absolut nichts mit Deinem Alltag
und dem „Warum“ zu tun,
wieso Du die Benzos in Dich hineingeworfen hast.
Das wartet dann geduldig draußen auf Dich.
während Du glaubst, Du hast wieder alles im Griff.
Ich möchte ganz klar sagen, das ist meine Meinung. Letztendlich muss jeder selbst für sich entscheiden,
was für ihn das Richtige ist.
Gab es entzugserscheinungen?
Oh, ja. Immer wieder.
Wenn ich die Dosis reduziert habe,
standen spätestens nach zwei Tagen
meine alten Bekannten auf der Matte:
„Das Herzrasen“ und „der Schwindel“.
Ihren „Elefanten“ hatten sie übrigens
auch meist im Schlepptau,
der dann meine Lunge als Trampolin benutzte …
Spaß beiseite,
meistens war es auszuhalten und wenn nicht,
gab es immer noch eine Notfallration.
Es empfiehlt sich allerdings,
die Benzoausgabe in andere Hände zu geben.
Damit ist ein Rückfall ausgeschlossen.
was war mit krassen suchtmomenten?
Die gab es nie, weil für mich immer klar war,
dass ich mich nie wieder von den kleinen,
so gar nicht Süßen abhängig machen will.
Ich erlebte aber Situationen, in denen ich dachte:
„Vor ein paar Wochen hättest Du genau jetzt
ein paar Benzos eingeworfen!“
Das bedeutete wiederum,
mich knallhart der Realität zu stellen.
Das war und ist hart,
aber letztendlich ist es auch der einzige Weg,
um zu (über)leben.
Wie schätzt du deine rückfallquote ein?
Man soll ja nie, nie sagen.
Trotzdem glaube ich fest, dass sie bei Null liegt.
Wer wie ich den Höllentrip „kalter Entzug“
kennengelernt hat,
der will das nie wieder erleben.
Diese Erfahrung hat sich tief
in meine Erinnerungen gebrannt.
Aber auch der ambulante Entzug
war kein „lässiger Spaziergang“.
Es gab erstaunlich leichte Zeiten
und dann wieder Momente,
wo mich permanentes Muskelzittern,
imaginäre kleine Monster
und eingebildete Partymusik
spüren ließen:
„Du bist im Entzug!“
Und doch lohnt es sich, unbedingt durchzuhalten!
Was würdest du benzoabhängigen raten?
Erst mal, keinen eigenmächtigen kalten Entzug
zu machen,
wie ich das getan habe.
Geht zu eurem Hausarzt,
lasst euch beraten und entscheidet dann,
ob ein stationärer oder ambulanter Entzug
für euch das Richtige ist.
Eine Entzugsbegleitung wie unsere Selbsthilfegruppe
kann euch dabei zusätzlich unterstützen.
Ihr seid nicht allein und wir geben euch mentale Hilfe,
damit der Entzug gelingt und ihr nicht rückfällig werdet.
Wie geht es dir heute?
Mir geht es viel besser,
ich habe mein Leben wieder im Griff
und die so lange vermisste Energie
und der Antrieb sind auch zurück.
Die Auslöser von damals sind natürlich nicht weg.
Das muss man ganz ehrlich sagen.
Da ist noch viel Luft nach oben in der Aufarbeitung.
Ich glaube allerdings fest,
dass die Zeit viele Wunden schließt.
Ein paar werden sicher auch Narben
auf der Seele hinterlassen.
Dennoch sind Medikamente, vor allem Benzos,
absolut keine Problemlöser,
sondern nur Problemvertuscher!
Und jetzt die selbsthilfegruppe …
... ja!
Schon ganz am Anfang meiner Therapie
habe ich mir gesagt:
„Wenn ich das schaffe,
dann gründe ich eine Selbsthilfegruppe!“
Und hier sind wir – „die Benzo-No-Gos“ …
Es war mein persönliches Ziel
und es ist meine Belohnung für eine sehr prägende,
nicht immer einfache Zeit.
Ich will, dass viele, viele Betroffene es auch schaffen
und es vielleicht ein bisschen einfacher haben als ich.
das interview gibt meine meinung & meine erfahrungen wieder.
es erhebt keinen anspruch auf medizinische oder therapeutische korrektheit bzw. vollständigkeit.